Schwerbehindert? Damit verbindet sich automatisch das Bild des Rollstuhlfahrers oder des Blinden mit Hund. Manchmal ist eine Beeinträchtigung jedoch nicht offensichtlich: Schwerbehindert ist zum Beispiel auch die junge Frau mit Diabetes oder der Autist in seiner Zahlenwelt. „Wir möchten zum internationalen Gedenktag für Menschen mit einer Behinderung (3.Dez., Anm. d. Redaktion), einmal mehr darauf aufmerksam machen, dass ein Handicap nicht unbedingt ein Hindernis sein muss, die erforderliche Leistung am Arbeitsplatz zu erbringen“, sagt Ralf Holtkötter, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Brühl.
In Zeiten dringenden Fachkräftebedarfs lenkt er den Blick auch auf dieses Potenzial. Im Rhein-Erft-Kreis haben 21.185 und damit 7,0 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter eine Schwerbehinderung. 1.253 Schwerbehinderte waren Ende Oktober (gleitender Jahresdurchschnitt) im Rhein-Erft-Kreis arbeitslos gemeldet; das sind 9 Personen (0,7 Prozent) mehr als vor einem Jahr.
Viele Arbeitslosen mit Handicaps haben gute Voraussetzungen für eine Integration ins Erwerbsleben. Denn sie können vorweisen, was heute fast unerlässlich ist: eine berufliche Qualifikation. Rund 39 Prozent suchen eine Anstellung als Fachkraft, Spezialist oder Experte.
Holtkötter betont: „Am passenden Arbeitsplatz sind behinderte Menschen genau so leistungsfähig wie nicht-behinderte. Handicaps können häufig organisatorisch oder durch moderne Technik ausgeglichen werden. Wenn dies gelingt, profitieren beide Seiten – Arbeitgeber und Arbeitnehmer!“
Schwerbehinderte Menschen haben ein kaum erhöhtes Risiko, ihre Stelle zu verlieren. Wenn dies allerdings geschieht, bleiben sie aber länger arbeitslos als Personen ohne Beeinträchtigung. Auch bei der Altersstruktur gibt es deutliche Unterschiede. Unter den Arbeitslosen mit Handicap sind 52 Prozent über 55 Jahre alt, bei den Arbeitslosen ohne Schwerbehinderung sind es 23 Prozent. Das erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass die Wahrscheinlichkeit, chronisch krank zu werden oder nur noch eingeschränkt arbeitsfähig zu sein, im Laufe des Lebens steigt.
Um die Beschäftigungschancen zu erhöhen, sind Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen gesetzlich verpflichtet, mindestens 5 Prozent dieser Stellen mit Behinderten zu besetzen. Demnach gab es im Rhein-Erft-Kreis im Jahr 2022 – das ist die aktuellste Statistik – 760 Betriebe, die die „Fünf-Prozent-Klausel“ erfüllen mussten. Von insgesamt 4.591 Pflichtarbeitsplätzen blieben 1.018 unbesetzt. Der Sollwert wurde also deutlich unterschritten. Insgesamt lag die Erfüllungsquote damit bei 43,3 Prozent.
Die Bundesagentur für Arbeit will mit gutem Beispiel vorangehen und hat sich zum Ziel gesetzt, 10 Prozent Schwerbehinderte zu beschäftigen. Die Agentur Brühl liegt mit aktuell 13 Prozent deutlich darüber.
Unternehmen, die die Vorgabe nicht erfüllen, zahlen pro Pflichtarbeitsplatz, der nicht durch einen behinderten Menschen besetzt ist, eine Ausgleichsabgabe. Sie ist nach Betriebsgrößen gestaffelt. Maximal beträgt sie pro Monat und Arbeitsplatz 720 Euro. Damit möchte der Gesetzgeber die Inklusion am Arbeitsmarkt vorantreiben.
„Aber nicht nur der finanzielle Aspekt sollte eine Rolle spielen. Eine erfüllende Arbeitsstelle zu haben, ist für jeden wichtig“, ist sich Holtkötter sicher. „Denn einer geregelten Arbeit nachgehen zu können, bedeutet nicht nur, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und für sich selbst sorgen zu können. Der Beruf ermöglicht auch die Teilnahme am Leben und bewahrt nicht selten vor Isolation. Eine bunte Belegschaft, die die Vielfalt der Gesellschaft spiegelt, ist eine Bereicherung für alle. Wenn eine inklusive Arbeitswelt zum Normalzustand wird, verschwinden Vorurteile und Berührungsängste von selbst. Wer beeinträchtigten Arbeitslosen eine Chance gibt gewinnt zweifach: Fachkräftelücke geschlossen und eine/n loyalen Mitarbeiter/in gewonnen.“
Der Arbeitgeberservice wirbt bei den Betrieben für die Einstellung schwerbehinderter Menschen, die auf Stellensuche sind und informiert über Gesetze, Regelungen und Fördermöglichkeiten. Interessierte Unternehmen können die kostenlose Servicenummer 0800 4 5555 20 wählen.